Jeder hat schon einmal vom Zinseszinseffekt gehört, doch nur wenige sind sich seiner Tragweite bewusst. Wir wollen uns hier damit beschäftigen und verstehen, warum der Zinseszinseffekt euer bester Verbündeter bei der Geldanlange ist.
Schätzaufgabe:
Wenn du heute 100 € anlegst, jedes Jahr 6 % Zinsen erhältst und die Zinsen wieder anlegst, wie viel Geld hast du nach 10, 20 oder 30 Jahren?
Wenn du möchtest, schreib dir deine Schätzung auf. Am Ende dieses Beitrags findest du die Auflösung.
Grundlagen
Aber fangen wir erst einmal mit den Grundlagen an: Der Zinseszins entsteht, wenn du im ersten Jahr Zinsen auf eine Anlage erhältst und diese Zinsen nicht abhebst, sondern diese ebenfalls anlegst. Im zweiten Jahr erhälst du nicht nur Zinsen auf das ursprüngliche Kapital, sondern auch auf die wiederangelegten Zinsen.
Ein kleines Beispiel macht diesen Effekt deutlich: Wir nehmen an, wir verzinsen 100 € mit 10 % Zinsen. Ohne Zinseszinseffekt bekommen wir jedes Jahr 10 € Zinsen, nach 5 Jahren haben wir also 150 €.
Jahr | Betrag am Jahresanfang | Zinsen | Betrag am Jahresende |
---|---|---|---|
1 | 100 € | 10 € | 110 € |
2 | 110 € | 11 € | 121 € |
3 | 121 € | 12,10 € | 133,10 € |
4 | 133,10 € | 13,31 € | 146,41 € |
5 | 146,41 € | 14,64 € | 161,05 € |
Wir sehen deutlich, dass die Zinsen jedes Jahr steigen. Mit steigenden Zinsen erhalten wir im kommenden Jahr noch mehr Zinsen. Die Zinsen wachsen immer schneller. Während unser Guthaben im Beispiel ohne Zinseszinseffekt linear wuchs (jedes Jahr um 10 €), spricht man hier von exponentiellem Wachstum.
Nach 5 Jahren hätten wir 161 €. Das sind 11 € mehr als ohne Zinseszinseffekt. Vielleicht wirkt das nicht wie ein großer Unterschied und das ist es auch nicht, aber langfristig wird dieser Effekt immer größer. Während im ersten Jahr die Zinsen gleich groß waren (beide Verzinsungsmethoden erhielten 10 €), betrug die Differenz im zweiten Jahr 10 %, also 11 € im Vergleich zu 10 €. Nach 5 Jahren würde dieser Unterschied schon 46 % betragen.
Hier entfaltet der Zinseszins seine volle Wirkung
Zugegeben, ohne Zinseszins hätte man nach 5 Jahren 150 € (100 € Startkapital und 5 mal 10 € Zinsen), da wirken 161 € mit Zinseszinseffekt nicht wie der große Unterschied. Je länger der Betrachtungszeitraum allerdings gewählt wird, desto gravierender fällt der Unterschied aus. Der menschliche Verstand ist nicht in der Lage, sich exponentielles Wachstum wirklich gut vorzustellen. Deshalb verdeutlicht die unten stehende Grafik unser Rechenbeispiel besser. Sie zeigt, wie sich die 100 € aus dem obigen Beispiel über 30 Jahre verzinsen.
Nach 5 Jahren sieht man, wie erwartet, dass sich unsere 161 € auf der roten Zinseszins-Linie kaum von den 150 € der blauen Linie des linearen Wachstums abheben. Auch nach 10 Jahren ist der Unterschied vielleicht nur wenig beeindruckend: Er beträgt zwischen 200 € und 259,37 € nur knapp 30 %. Im Laufe der Zeit wird der Unterschied jedoch immer deutlicher. Es dauert 19 Jahre, bis man mit 290 € zu 611 € eine Verdopplung erreicht. Dann geht es immer schneller. Nach weiteren 10 Jahren, also insgesamt nach 29 Jahren, würde das zinsesverzinste Vermögen mit 390 € zu 1.586 € bereits mehr als das Vierfache wert sein.
Am Ende der Grafik stehen nach 30 Jahren schließlich 400 € im Vergleich zu 1.744 €.
Einflussfaktoren
Hier erkennt man schon gravierende Unterschiede. Es kann jedoch verständlicherweise für manche enttäuschend wirken, wenn nach 5 oder 10 Jahren der Eindruck entsteht, der Zinseszinseffekt würde nicht zum gewünschten Erfolg führen. Der Effekt zeigt sich jedoch nach längerer Zeit immer deutlicher.
Neben der Zeit ist der Zinssatz der zweite Parameter, welcher den Zinseszinseffekt beeinflusst. Die oben genannten 10 % lassen sich in den Zahlen leicht nachvollziehen, sind aber für eine Geldanlage eher eine optimistische Vorstellung. Da mit höheren Zinsen auch ein höheres Risiko bei der Geldanlage einhergeht, sind hier ein paar geringere Zinssätze im Vergleich dargestellt:
Wir sehen deutlich, dass ein höherer Zinssatz zu überproportional höheren Erträgen führt. Nach 30 Jahren erreichen wir mit 3 % Zinsen und dem Zinseszinseffekt 243 € und somit vermutlich nicht mehr als einen Inflationsausgleich. Mit 6 % Zinsen würden wir 574 € und mit 9 % 1.327 € erhalten.
Ein praktisches Beispiel aus dem Alltag
Immer, wenn man langfristige Pläne macht, ist der Zinseszinseffekt wichtig. Das wohl präsenteste Beispiel für viele ist die Rente. Lange Investitionszeiträume sind die perfekte Anwendbarkeit für den Zinseszinseffekt.
Ich besitze zum Beispiel eine private Rentenversicherung, wie es allen jungen Menschen heutzutage empfohlen wird.
Jedes Jahr im Oktober erhalte ich „Informationen zum Stand meiner Versicherungsleistungen“. In der Übersicht (die zugegebenermaßen nicht übersichtlich ist) findet sich unter anderen folgende Aussage:
Falls ich die Beiträge stoppe (also den Vertrag kündige und nur noch das bereits eingezahlte Geld für meine Rente habe), erhalte ich folgende monatliche Altersrente:
Angenommene künftige jährliche Verzinsung meines Guthabens: | Monatliche Altersrente: |
---|---|
0,00 % | 2,60 € |
3,00 % | 11,12 € |
6,00 % | 35,75 € |
9,00 % | 102,98 € |
Je nach Verzinsung (über die nächsten 35 Jahre) erwartet meine Versicherung je nach Zinssatz im Zinseszinseffekt für mich eine bis zu 40-fache Rente gegenüber keiner Verzinsung.
Das ist wirklich beeindruckend, auch wenn die Beträge insgesamt noch sehr enttäuschend sind. Aber hierbei handelt es sich auch um Beträge nach einer Kündigung (und vermutlich Verwaltungskosten über weitere 35 Jahre).
Fazit
Langfristig kannst du mit dem Zinseszinseffekt einen finanziellen Erfolg erreichen, den du dir zuvor kaum erträumt hättest. Voraussetzungen hierfür sind natürlich eine Verzinsung, sowie Zeit und Geduld, bis diese ihre volle Kraft entfalten kann.
Je früher man anfängt, sich um langfristigen Kapitalaufbau zu kümmern, desto besser! Jedes Jahr macht einen Unterschied.
Auflösung der Schätzaufgabe
Wie viel Geld wird aus 100 € mit 6 % Zinseszins über 10, 20 und 30 Jahre? Hast du deine Schätzung noch im Kopf? Willst du sie noch anpassen, nachdem du all das gelesen hast?
Hier ist, wie versprochen, die Auflösung:
10 Jahre: 179 €
20 Jahre: 321 €
30 Jahre: 574 €
Bist du enttäuscht von diesem Ergebnis oder eher positiv überrascht? Die folgende Tabelle zeigt dir einige Zinseszinsrechnungen. Falls dich die Faszination ergriffen hat, findest du dort die Angabe, wie viel Geld aus nur einem einzigen Euro mit verschiedenen Zinssätzen oder Dauern wird.
Viel Spaß beim Vertiefen.
Der Zinseszinseffekt in Abhängigkeit von der Dauer und vom Zinssatz geschätztes Leerzeichen
Jahre | 2 % | 3 % | 5 % | 6 % | 7 % | 8 % | 10 % | 15 % | 20 % |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
5 | 1,10 € | 1,16 € | 1,28 € | 1,34 € | 1,40 € | 1,47 € | 1,61 € | 2,01 € | 2,49 € |
10 | 1,22 € | 1,34 € | 1,63 € | 1,79 € | 1,97 € | 2,16 € | 2,59 € | 4,05 € | 6,19 € |
15 | 1,35 € | 1,56 € | 2,08 € | 2,40 € | 2,76 € | 3,17 € | 4,18 € | 8,14 € | 15,41 € |
20 | 1,49 € | 1,81 € | 2,65 € | 3,21 € | 3,87 € | 4,66 € | 6,73 € | 16,37 € | 38,34 € |
25 | 1,64 € | 2,09 € | 3,39 € | 4,29 € | 5,43 € | 6,85 € | 10,83 € | 32,92 € | 95,40 € |
30 | 1,81 € | 2,43 € | 4,32 € | 5,74 € | 7,61 € | 10,06 € | 17,45 € | 66,21 € | 237,38 € |
35 | 2,00 € | 2,81 € | 5,52 € | 7,69 € | 10,68 € | 14,79 € | 28,10 € | 133,18 € | 590,67 € |
40 | 2,21 € | 3,26 € | 7,04 € | 10,29 € | 14,97 € | 21,72 € | 45,26 € | 267,86 € | 1.469,77 € |
50 | 2,69 € | 4,38 € | 11,47 € | 18,42 € | 29,46 € | 46,90 € | 117,39 € | 1.083,66 € | 9.100,44 € |
60 | 3,28 € | 5,89 € | 18,68 € | 32,99 € | 57,95 € | 101,26 € | 304,48 € | 4.384,00 € | 56.347,51 € |
70 | 4,00 € | 7,92 € | 30,43 € | 59,08 € | 113,99 € | 218,61 € | 789,75 € | 17.735,72 € | 348.888,96 € |
80 | 4,88 € | 10,64 € | 49,56 € | 105,80 € | 224,23 € | 471,95 € | 2.048,40 € | 71.750,88 € | 2.160.228,46 € |
90 | 5,94 € | 14,30 € | 80,73 € | 189,46 € | 441,10 € | 1.018,92 € | 5.313,02 € | 290.272,33 € | 13.375.565,25 € |
100 | 7,24 € | 19,22 € | 131,50 € | 339,30 € | 867,72 € | 2.199,76 € | 13.780,61 € | 1.174.313,45 € | 82.817.974,52 € |
Guter Beitrag, aber leider in Zeiten der Nullzins-Politik eher theoretisch.
Hierzu gibt es übrigens heute bei Spiegel online einen guten Artikel.