Später Jahresrückblick – Wirecard und ein blaues Auge

Ein Jahresrückblick Anfang April – das ist aber sehr verspätet! Naja nicht ganz, der Jahresrückblick bezieht sich auf das wikifolio-Musterdepot, welches ich am 23.3.2020 erstellt und am 29.3.2020 hier vorgestellt habe. So gesehen ist der Jahresrückblick fast pünktlich, nur zu einer unerwarteten Jahreszeit.

Zugegeben, Wirecard hat mir letztes Jahr die Stimmung verdorben. Nach der Insolvenz des deutschen Zahlungsdienstleisters aus dem DAX wurde die größte Position im Portfolio ziemlich schnell wertlos. Dementsprechend weist das wikifolio einen maximalen Verlust von 35,5 % aus. Nichtsdestotrotz steht am Osterwochenende ein Kurs von 107,49 € am wikifolio. Ausgehend vom Startkurs von 100 € entspricht dies einer Jahresentwicklung von etwa 7,5 %. Dies entspricht langfristig einer durchschnittlichen Rendite, die im DAX erwarten werden kann, ist aber im Angesicht des guten Börsenjahres nicht befriedigend. Hier hat es sich trotzdem ausgezahlt, die wohl berühmteste Weisheit von André Kostolany zu beherzigen:

„Kaufen sie Aktien, nehmen sie Schlaftabletten und schauen die Papiere nicht mehr an. Nach ein paar Jahren werden sie sehen: sie sind reich!“

frei nach André Kostolany

Mit 7 % Rendite bin ich zwar noch nicht reich, aber es ist auch erst ein Jahr vergangen und die Essenz dieses Zitates ist der langfristiger Ansatz. Entsprechend dem wikifolio-Titel „Langfristiger Kapitalaufbau“ plane ich langfristig. 7 % pro Jahr sind erheblich besser als den Kopf in den Sand zu stecken, alles zu verkaufen und der Börse frustriert mit einem Minus-Saldo den Rücken zu kehren. Auch sind 7 % Rendite besser als das Geld auf dem Girokonto, Sparbuch oder Tagesgeldkonto liegen zu lassen. In Summe bin ich aus diesem Jahr mit einem blauen Auge davon gekommen. Aber nun blicken wir einmal in die Details.

Was lief schlecht?

-35,5 % maximaler Verlust – da lief wohl einiges schlecht. Eigentlich nicht. Der größte Teil der Verluste entstand durch Wirecard. Mit 20 % Gewichtung im wikifolio beim Kauf und anschließender Kursrally stieg der Anteil von Wirecard alleine auf etwa 30 %. Dieser Anteil wurde dann praktisch über Nacht wertlos. Dies ist der größte Teil der 35 % Verlust. Hier war der größte Fehler die zu große Gewichtung einer einzelnen Aktie. Ärgerlicherweise wurde die Cyan AG an der Börse in Sippenhaft genommen, nachdem sie als Geschäftspartner von Wirecard nach deren Insolvenz Forderungen an diese abschreiben musste.

Ein echtes Blutbad fürs Depot! Hier zeigt sich, wie wichtig Diversifikation ist, und dass diese hier noch verbessert werden muss. Darauf komme ich in einem späteren Absatz zurück.

Was lief neutral?

Erst einmal lesen sich 35 % Verlust wie ein Desaster. Im wikifolio zeigt sich aber deutlich, dass es sich hierbei nicht um einen Absturz von 100 € auf 65 € handelte, sondern, dass durch die hohe Volatilität (Kurs-Schwankung) der Wirecard-Aktie der Wert des wikifolio erst auf 140 € hochschoss und dann scharf auf etwa 90 € korrigierte. Ausgehend vom Startpunkt bei 100 € wäre also nur ein maximales Minus von 10 % zu verbuchen gewesen. Trotzdem unangenehm. Hier muss ich mir selbst immer vor Augen führen, nicht bei 140 € gestartet zu sein, sondern nur bei 100 €.

Weiterhin neutral zu betrachten ist, dass dieses wikifolio noch im Aufbau ist. Dementsprechend liegt die Cash-Quote bei derzeit 62 %. Das heißt, dass von 100 € derzeit nur etwa 38 € investiert sind und 62 € auf dem fiktiven Girokonto lägen. Dies verhinderte einerseits, dass noch mehr Geld in Wirecard investiert wurde. Andererseits erschwerte es die Erholung im Anschluss. In meinem privaten Depot habe ich eine niedrigere Cash-Quote, hier werde ich Depot und wikifolio in den nächsten Tagen nochmal angleichen.

Was lief gut?

Nun endlich das Gute! Wenn das wikifolio das erste Jahr trotz der Insolvenz der größten Position nur mit einem blauen Auge und mit Gewinn abschließt, muss auch etwas gut gelaufen sein.

Der Optimismus, dass Corona nicht das Ende der Welt sein würde, welche wir kannten, hat sich ausgezahlt. Während der Panikverkäufe im Coronatief konnte ich günstig Anteile der Kreuzfahrtredereien Carnival, Royal Caribbean Cruises und Norwegian Cruise Line erstehen.

Teilweise mussten diese Gesellschaften erhebliche Schulden aufnehmen, um durch den Lockdown zu kommen. Als langfristiger Investor war und bin ich jedoch optimistisch, dass die Kreuzfahrtbranche wieder auf den Wachstumspfad zurückkehrt.

Dieses Szenario wird am Aktienmarkt auch langsam eingepreist:

Wie kann man einen Totalverlust einer Aktie am besten ausgleichen? Richtig, indem eine andere Aktie sich verdoppelt. Carnival (+ 91 %), Norwegian Cruise Line (+ 159 %) und Royal Caribbean Cruises (+ 178 %) haben sich seit dem Kauf hervorragend entwickelt. Ich bleibe gespannt, wie die Aktien sich weiterhin entwickeln, wenn die schwimmenden Hotels wirklich wieder auslaufen dürfen.

Hier hat sich antizyklisches Investieren wirklich ausgezahlt!

Was habe ich für meine Finanzen gelernt?

Es ist weniger etwas, was ich wirklich gelernt habe, aber manches hat sich bestätigt oder verdeutlicht:

Diversifikation ist wichtig. Deshalb werde ich zukünftig die Regel einführen, dass maximal 10 % des wikifolio in dieselbe Aktie investiert werden dürfen. Wie ich mit Norwegian Cruise Line verfahre, die ihren Wert seit dem Kauf fast verdreifacht hat und mit 10,9 % Anteil im wikifolio über diese Schwelle gewachsen ist, werde ich mir in Ruhe überlegen und in einem späteren Beitrag erläutern.

Es hat sich bestätigt, dass man nicht im Tief in Panik seine Aktien verkaufen sollte, sondern dann lieber günstig einkaufen. Langfristig erholen sich die Kurse von guten Unternehmen und die meisten Aktienindizes schreiben bereits neue Höchstkurse. Wer hätte das vor einem Jahr gedacht?

Ausblick auf 2021

Natürlich ist es einfacher, im April einen Ausblick auf das Jahr zu geben. Andererseits stehen wir trotz aller Probleme auf Höchstkursen bei den meisten großen Indizes. Trotzdem bleibe ich optimistisch.

Die Rally an den Aktienmärkten seit dem Tief Anfang 2020 wurde von den Notenbanken befeuert. Wenn man genug Geld zur Verfügung stellt, steigen irgendwann die Kurse. Ein Ende des Gelddruckens ist derzeit noch nicht absehbar. Zusätzlich wird Bidens neues Konjunkturprogramm über 1,9 Billionen US-Dollar (in Zahlen: 1.900.000.000.000 $) nicht spurlos an den Aktienmärkten vorbeigehen. Unter anderem soll (fast) jeder Erwachsene US-Bürger 1.400 $ direkt von Staat bekommen. Die Schecks werden Anfang April verschickt. Ich gehe davon aus, dass davon einiges im Aktienmarkt landet, oder dass nach dem Lockdown davon die eine oder andere Kreuzfahrt gebucht wird.

Zum Vergleich: Nach der Finanzkrise 2008 legte Obama 2009 ein Konjunkturpaket über 800 Milliarden US-Dollar auf. Damit ist das Paket von Biden mehr als doppelt so groß. Als nächstes soll Präsident Biden ein weiteres Konjunkturpaket über bis zu 4 Billionen US-Dollar planen. Das wäre fünf mal so groß wie das Paket von Obama aus dem Jahr 2009, welches uns den Weg aus der Finanzkrise ebnete. Wenn ich zurückblicke, wie die Aktienmärkte sich seit 2009 entwickelt haben, bleibe ich optimistisch, dass die nähere Zukunft einige positive Überraschungen bieten kann.

Die Rückkehr zur Normalität und zu normalen Geschäften wird der globalen Wirtschaft ebenfalls gut tun. Vielleicht gibt es sogar bald wieder Passagiere auf Kreuzfahrtschiffen. Auch dies stimmt mich positiv für die Aktienmärkte 2021.

Natürlich ist das alles nur meine Meinung und jeder muss seine eigenen Schlüsse ziehen und Entscheidungen treffen. Selbstverständlich ist dies keine Kaufempfehlung. Spätestens nächstes Jahr werde ich berichten, was passiert ist. Es bleibt ein spannendes Jahr 2021.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert